ReportageNirgends ist das Gras grüner

Es war ein Fussballspiel,

behaupten zumindest die Veranstalter; und tatsächlich habe ich zwischen den Nebelschwaden, die sich bereits am Morgen über den Rasen der Schützenwiese legten, auch Männer in Trikots erahnen können. Zu Gast war der grosse Nachbar aus Zürich, dem es endlich mal vergönnt war, im eigenen Kanton ein echtes Fussballstadion zu bespielen. (Herzlich Willkommen, FCZ!)

Der FC Winterthur gab sich als guter Gastgeber, tat alles erdenkliche um eine friedliche Atmosphäre bereits im Vorfeld entstehen zu lassen. Speziell für das Spiel gestaltete Cup-Becher hier; ein neuer Medienraum da. Tolle Sache, wären da nicht die zwangsläufig mit einem solchen Grossereignis einhergehenden Nebenerscheinungen (Absperrungen im Stadion, Polizeipräsenz an jeder Ecke) und ein Stadtbus-Betrieb, der weiss, wie man mit Durchsagen ("Meiden Sie, wenn möglich den Bahnhofsplatz") im Bus Panik verbreiten kann. Provinziell findet Andreas Mösli, Geschäftsführer des FC Winterthurs, derartiges. Ich nicke bejahend.

Aber von vorn: Das Stadion Schützenwiese ist meine Fussballheimat, und ich teile diese mit knapp 3500 anderen Fans, die sich im Schnitt pro Spiel dort sehen lassen. Das Stadion hat eine bewegende Geschichte hinter sich. Die neusten Veränderungen konnte ich selbst miterleben, so etwa den Bau der Gegentribüne und des Kunstrasenplatzes, die Erneuerung der Stadionbeleuchtung, die Renovierung der Spielerkabinen und die Neugestaltung des Medienraumes. Die Vergangenheit kenne ich aus der Lektüre und aus Erzählungen anderer Fans und Mitarbeiter. Wie gern wäre ich mal auf der schönen alten Holztribüne gestanden. In den 1970ern, schreibt der Landbote, waren es zuletzt 12000 Zuschauer, danach wurden diese Dimensionen nicht mehr erreicht. Das sollte sich gestern ändern.

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Unzählige Mitarbeiter und Helfer hatten in den vergangenen Tagen die VIP-Zelte aufgebaut und sich um die notwendige Ifrastruktur gekümmert. So wurden zusätzliche Ess-/Trinkstände im Gästebereich und auch ausserhalb des Stadions entlang der Gegentribüne eingerichtet. Ein Mehraufwand, der den Club viel Anstrengung gekostet hat. Später sollten es 120 Helfer/innen allein im Bereich Catering sein, die die Fans versorgten. Das sind doppelt so viele wie bei anderen Spielen. Hinzu kommen zusätzliches Sicherheitspersonal und Feuerwehrleute. Ausnahmezustand für den FCW und seine ehrenamtlichen Mitarbeiter.

«1200 rot-weisse Fahnen und eine 3000,- CHF teure Choreo»

Ich bin in der Zwischenzeit so richtig in Matchlaune und streife durch das langsam zum Leben erwachende Stadion. Die Libero-Bar ist längst offen; Menschen schwirren schwer beladen um mich herum. Die ersten Fans habe ich ebenfalls schon erblickt: Mit Choreo-Utensilien im Gepäck gehen sie in Richtung Bierkurve und machen sich an die Vorbereitungen. 3000.- CHF, eine Planung, die bereits im Oktober begann, und 120 Stunden Vorarbeit stecken hinter der Choreo, die sich uns später zeigen wird. Insgesamt hat man 1200 rote und weisse Fahnen im Stadion verteilt. Hinten im VIP-Zelt wird derweil die Dekoration auf den Tischen zurechtgerückt. Ein jeder packt hier auf seine Art an.

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Fans auf dem Weg zum Stadion Schützenwiese

Es wird dunkel und mit der Dunkelheit zieht sich auch der Nebel über der Schützenwiese zusammen. Die Türöffnung steht kurz bevor und man hört eine grosse Anzahl Fans sich ausserhalb des Gästesektors lautstark warm singen. Im Stadion selbst herrscht nun etwas Hektik. Medienschaffende suchen nach Leibchen. Der neue Medienraum will erst gefunden werden. Andernorts fehlt es an Küchenutensilien, die noch aus dem Lager geholt werden müssen. Von allem wird heute mehr gebraucht als sonst.

Das gilt auch für die Mannschaft, die sich bei diesem – auf dem Papier haushoch überlegenen Gegner – deutlich ins Zeug legen muss. “Die Jungs sind gut drauf und positiv gestimmt”, sagt der verletzte Kapitän Schuler. Ich nicke verlegen, weil ich meinem und seinem Optimismus nicht traue, kommt mit dem FCZ doch eine bisher ungeschlagene Mannschaft auf die Schützenwiese, deren Ambitionen sonst europäischer Natur sind. Hinter ihm öffnet sich die Tür der Mannschaftskabine und die Jungs treten hinaus. Während hier der Platz besichtigt wird, werden andern Ort die Türen geöffnet.

Endlich! Ich eile hinaus, will sehen, wie die Fans zum Stadion strömen und mich von der Stimmung treiben lassen. Immer wieder treffe ich auf bekannte Gesichter und auch auf Menschen, die ich hier nicht erwartet hätte. Es kribbelt gewaltig.

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S. Christ im Interview mit Teletop

Zurück von meiner Tour ist die Medienmaschinerie bereits in vollem Gang. Sven Christ gibt die ersten Interviews, die Fotografen und Kameramänner verteilen sich abseits des Rasens. “Da muss man kreativ werden bei der Suche nach einer guten Perspektive”, lächelt Thomas (SchütziTV) und richtet seine Kameras ein. Das Problem ist nicht nur die ungewohnte Menge an Kollegen, die ihre Plätze einrichten; vielmehr ist es der Nebel, der den Blick auf die andere Spielhälfte verunmöglicht. Noch nie hat sich mir ein solches Bild in einem Stadion geboten.

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In der Zwischenzeit war die Hütte voll. Zumindest glaubte ich das, denn wirklich viel sah man beim Blick über den Rasen nicht. Den lauten Rufen der Gästefans nach aber mussten sie da sein. Und viele von ihnen. Hin und wieder schafft es eine blau-weisse Fahne durch das Weiss. Ich geselle mich zu Thomas G. (SchütziTV, FCW-Urgestein), der seine Kameras in Position bringt und warte auf den Einlauf der Spieler und auf mein erstes Mal ‘Hells Bells’ vor 9400 Seelen, die mit mir diesen Sport zelebrieren wollen. Was für ein grossartiges Gefühl.

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9400 Fans sehen des Nebels wegen beinahe nichts

Das Stadion versinkt im Nebel

Das Spiel beginnt und mit ihm das absurdeste Sportereignis, dem ich live beigewohnt habe. Nebst einer Gelb-Roten-Karte für G. Katz, die ich schlicht nicht gesehen hab und bei der ich auch auf Nachfrage bei Zuschauern und Kollegen in meinem Umkreis keine klare Beschreibung der Szene erhielt, gab es Chancen hüben wie drüben. Letzteres erkannte man jeweils dann, wenn das Publikum am anderen Ende des Stadions zu einem “Uuuuuuhhhh!” ansetzte, das immer lauter wurde. Das Spiel in Halbzeit Eins war ein Gutes, so glaube ich es und bilde mir noch heute – am Folgetag – ein, dass ich zwischen all dem Weiss tatsächlich eine der besten Leistungen unserer Jungs in Rot in dieser Saison gesehen habe.

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Stimmungsvolle Atmosphäre

Die Halbzeitpause nutzte ich, um mich wieder ein wenig unter die Leute zu mischen. Pflichtbesuch bei der Sirupkurve und Halbzeitzigarette mit Freunden. Die Vorbereitungen und die zusätzlichen Bier-/Essbuden, haben sich bezahlt gemacht. Im Gegensatz zum Hinspiel, bei dem die Zürcher Mühe hatten, die Fans zeitnah mit Getränken zu versorgen (es gab einen grosses Aufschrei im Netz), hatte man hier alles im Griff. Die Zuschauer verteilten sich auf die vielen Stände im und auch ausserhalb des Stadions.

Die Stimmung war gut und ausgelassen, einzig einige wenige Zürcher, die sich in der Bierkurve verteilt hatten, machten auf mich einen raueren Eindruck. “Scheiss Kameramann. Verpiss dich mit deiner Kamera” ist zwar grammatikalisch korrekt, aber eben sonst nicht die richtige Ausdrucksweise. Nun denn, ich schnupperte Fanluft, drängelte mich an Menschenmassen vorbei gen Katakomben und begab mich wieder ans Feld, in der Hoffnung, das Wunder von Winterthur doch noch vom Nahen zu sehen (Betonung auf letzteres).

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«Da muss dann aber auch mal einer rein, sonst gewinnst du nichts»
Andreas Mösli

Zu sehen bekam ich nichts, das heisst: Das stimmt nicht. Ich sah einen aufopferungsvoll kämpfenden FCW, der auch nach dem Rückstand in der 65. Minute seine Chancen hatte. “Wir hatten solche Spiele ja in dieser Saison schon öfters, Spiele, in denen wir mitspielen und auch unsere Gelegenheiten haben. Da muss dann aber auch mal einer rein, sonst gewinnst du nichts”, sagt mir Mö später und ärgert sich über die vergebene Chance, dem grossen Rivalen einen Punkt abzujagen. Ansonsten nervt mich der Nebel langsam. Hatte ich mich anfänglich noch über die schön mystischen und stimmungsvollen Aufnahmen gefreut, ärgert es mich nun, “meine” Schützenwiese nicht einmal als “volle Hütte” fotografieren zu können, und so konzentriere ich mich für die letzten Spielminuten auf das Geschehen in der Coachingzone.

Das Spiel endet mit 0:2. Traurige Gesichter habe ich allerdings nur wenige gesehen. Die Mannschaft war enttäuscht. Klar! Sie wusste, dass sie hier und heute die Chance hatte, etwas mitzunehmen, und ich hätte es ihr und dem Umfeld nach dieser Leistung wirklich gegönnt. Noch aber bleiben uns zwei Spiele gegen die Kantonsrivalen. Einen Derbysieg will ich also noch erleben, ehe sich die Zürcher wieder für Jahre aus der schönsten Schweizer Liga verabschieden.

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